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Die Psalmen: Dichtung, Gesang, Gebet.
Ein Interview ("Gutes aus Klöstern" 2017/18)

 
Martin Erdmann: Psalmen sind alte Gebete der jüdischen, dann auch der christlichen Tradition. Haben Psalmen nur religiösen Menschen etwas zu sagen oder verbergen sich darin urmenschliche Erfahrungen, die von Zeit und Religiösität unabhängig sind?
Stephanie Haas: Wenn ich das Wort „Religion“ wörtlich nehme, dann sind wir alle insofern „religiös“, als wir eingebunden sind in ein Ganzes – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Die Themen der Psalmen - Schmerz, Verzweiflung, Hoffnung, Freude – sind zutiefst menschlich. Über das Lesen, Sprechen, Singen der Psalmen erfahren wir: Wir sind mit unseren Gefühlen nicht allein.

Martin Erdmann: Sie singen auch in lateinischer und hebräischer Sprache. Was unterscheidet diese beiden Sprachen in der musikalischen Wahrnehmung?
Stephanie Haas: Die ursprünglichen Psalmengesänge sind unwiederbringlich verloren. Wir wissen nicht, wie die Musik damals im Tempel geklungen hat. Ich habe mich deshalb entschieden, Psalmen in hebräischer Sprache zu rezitieren, nicht zu singen – und erlebe eine Musik der Sprache, die an einen Ursprung führt, in eine andere Zeit und in eine andere Intensität. Psalmen in lateinischer Sprache zu singen erlebe ich als ein Strömen, das sich wie ein schützender Mantel um uns legen kann.

Martin Erdmann: Was brauchen wir heute an geistigen Voraussetzungen, um uns auf das Hören dieser alten Musik einzulassen?
Stephanie Haas: Wir brauchen vor allem ein offenes Ohr. Es ist nicht notwendig, die Skalen und die andere Feinstimmung zu analysieren. Sie haben das Entscheidende schon selbst genannt: Es geht darum, sich auf das Hören einzulassen. Mehr braucht es nicht. Das wünsche ich jeder Musik - ganz gleich ob zeitgenössisch, barock, klassisch, romantisch. Es geht ums Hören, nicht ums Einordnen, Verstehen, Bewerten wollen. Dann wird man mit einem ungeahnten Reichtum beschenkt.

Martin Erdmann: Herr Haas, wie gestalten Sie Ihre Rolle im Zusammenspiel mit dem subtil leidenschaftlichen Gesang Ihrer Frau? Wie wählen Sie die Instrumentierung aus?
Christoph Haas: Einen mir unbekannten Gesang höre ich wieder und wieder, lausche der Melodie und dem Text, bis etwas in mir darauf antwortet, bis die Vision eines instrumentalen Klangraums Gestalt annimmt. Die obertonreichen Instrumente, die ich im Ensemble Cosmedin spiele (Psalter, Langhalslaute, Glocken, Rahmentrommel) wurzeln zwar in den frühen Hochkulturen des Orients, aber im Spiel dieser Instrumente gehe ich über die Traditionen hinaus. Es geht uns ja nicht um Historisierung, ganz im Gegenteil. Unser Ensemble Cosmedin gründeten wir 1999 mit der Vision einer Musik der Gegenwart, die weit in die Vergangenheit zurückschwingt und dadurch, wenn es gelingt, Kostbares für die Zukunft birgt. Natürlich ist das Studium der Manuskripte und der intensive Austausch mit Historikern, Literatur- und Musikwissenschaftlern selbstverständliche Voraussetzung. Wir wollen dabei aber nicht stehen bleiben.

Martin Erdmann: Wie gelingt es Ihnen, Überlieferung und heutiges Empfinden zusammenzufügen?
Christoph Haas: Mittelalterliche Sakralmusik ist für uns ein kostbarer Schatz an Schönem und existentiell Berührendem aus einer langen Tradition, eine Quelle der Spiritualität und insofern von großer Relevanz und Aktualität. Immer wieder aufs Neue geht es für uns darum, dieses Potential hörbar zu machen im Sinne einer Vergegenwärtigung und Berührung. Komposition und Improvisation sind dabei keine unüberbrückbaren Gegensätze, sondern inspirieren sich wechselseitig. Wir übersetzen also die überlieferten Gesänge ins Heute. Wie Adorno sagte: „Nichts kann unverwandelt gerettet werden.“

Martin Erdmann: Bei Ihrer Instrumentierung. Mit welcher ästhetischen Haltung nähern Sie sich den mittelalterlichen Gesängen?
Christoph Haas: Vor allem möchte ich den Gesängen Raum geben, in ihrer ganzen meditativen Schönheit leuchten zu können. Daraus resultieren asketische Instrumentierungen. Sie schaffen gleichsam einen Raum klingender Stille, in dem sich die sakralen Gesänge entfalten können.